Migration und die Weltarbeiter:innenklasse
Migrationsgründe: Kapitalismus und Imperialismus

Die Folgen des Neokolonialismus, der imperialistischen Kriege und des Neoliberalismus als jüngste kapitalistische Expansionsphase sind fatal. Die globale Arbeitsteilung führt zu schlechten Arbeitsbedingungen für die Proletarisierten in vielen Ländern der kapitalistischen Peripherie. Gleichzeitig forciert die Rüstungslobby Waffenexporte und befördert damit kriegerische Auseinandersetzungen, die unzählige Menschen zur Flucht zwingen. Zudem machen reaktionäre Bewegungen, ökologische Katastrophen sowie sexistische und homophobe Diskriminierung grossen Teilen der Weltbevölkerung das Leben schwer. Vielerorts erscheint der Kampf um eine Verbesserung der Lebensbedingungen aussichtslos. Darum entscheiden sich viele Menschen dazu, ihren Aufenthaltsort zu wechseln. Ziele der Migration sind regionale Metropolen und benachbarte Länder. Ein Teil der Migrant:innen gelangt bis in die kapitalistischen Zentren. Noch nie in der Geschichte der Menschheit waren so viele Menschen davon abhängig, Lohnarbeit zu leisten. Ein wesentlicher Anteil derjenigen Menschen, die weltweit als Migrant:innen in den Statistiken geführt werden, sind Arbeiter:innen, die an ihrem Wohnort nicht beschäftigt werden können. Wanderarbeiter:innen bewegen sich dorthin, wo das Kapital investiert und es Arbeitsplätze gibt, teilweise auch ohne Aufenthaltserlaubnis.

Das Migrationsmanagement als Ausbeutungsstrategie

Wer vor Krieg und Verfolgung nach Europa flieht, muss sich in einen aufreibenden Asylprozess begeben. Für aussereuropäische Arbeiter:innen sieht das europäische Migrationsregime kaum legale Einreisemöglichkeiten vor. Gleichzeitig hat das europäische Kapital ein beträchtliches Interesse an billigen Arbeitskräften. Die verschiedenen kapitalistischen Fraktionen sind sich jedoch in migrationspolitischen Fragen nicht einig. Während in der Schweiz beispielsweise der Wirtschaftsverband Economiesuisse gegen die «Ausschaffungsinitiative» war, setzten sich einzelne Unternehmen für diese rassistische Verfassungsänderung ein. Während sich die einen Kapitalist:innen für rassistische und nationalistische Bewegungen stark machen, gibt es im informellen Sektor eine grosse Nachfrage nach migrantischen Arbeitskräften. Das auf den ersten Blick widersprüchliche Migrationsmanagement dient dazu, die Ausbeutungsstrategien des Kapitals auszutarieren. So lässt sich auch beobachten, dass sich das Migrationsmanagement westeuropäischer Nationalstaaten über die Jahre verändert. Organisierten die verschiedenen europäischen Staaten bis vor einigen Jahrzehnten die Einwanderung mittels eigens ausgehandelter Gastarbeiter:innenverträge, ist die Migrationspolitik seit den 1980er Jahren auf europäischer Ebene angeglichen worden und agiert immer repressiver. Das europäische Migrationsmanagement versucht, die Mobilität der Proletarier:innen zugunsten der Bedürfnisse der Ökonomie zu regulieren: Die verschiedenen Institutionen der Kontrolle wollen Migrationsbewegungen kanalisieren, blockieren, auftrennen und die migrantischen Netzwerke verstehen. Ihre Massnahmen sind selten von langer Hand geplant, da sie immer auf die Praktiken der Migration reagieren müssen. Ein Instrument der Regulation migrantischer Arbeitskräfte ist die abgestufte Entrechtung durch Pässe, Visa und Grenzkontrollen.

Die Weltarbeiter:innenklasse stärken

Die europäische Migrationspolitik will verhindern, dass die vom globalen Norden in hohem Masse mitverursachten Kriege und sozialen Krisen den Lebensstandard in den kapitalistischen Zentren beeinflussen. Der Standortnationalismus wird auch von Parteien der parlamentarischen Linken mitgetragen, während rechte Verbände explizit gegen Migrant:innen hetzen. In Abwesenheit einer schlagkräftigen Arbeiter:innenbewegung und angesichts von Sozialabbau und wachsender Prekarität gelingt es dem Kapital, die Migrationsbewegungen zu einem Konflikt zwischen verschiedenen Fraktionen der Weltarbeiter:innenklasse werden zu lassen.

Arbeiter:innen, die im globalen Süden geboren wurden, wird das Recht auf Bewegungsfreiheit verwehrt. Wenn sie ihren Aufenthaltsort nicht frei wählen können, ist es schwierig für sie, angemessenen Widerstand gegen die kapitalistische Ausbeutung zu leisten. Es liegt im Interesse des globalen Proletariats, die durch nichts zu rechtfertigende Ungleichbehandlung bezüglich der Bewegungsfreiheit vollständig abzuschaffen. Die Solidarität mit Menschen, die aufgrund der Folgen des globalen Kapitalismus an einen anderen Ort migrieren, hat eine lange revolutionäre Tradition, die wir weiterführen. Zusätzlich dazu sehen wir im Kampf für selbstbestimmte proletarische Mobilität auch eine strategische Komponente. Damit meinen wir nicht, dass der Kampf um globale Bewegungsfreiheit auf direktem Weg in eine befreite Gesellschaft führt, aber je selbstbestimmter Arbeiter:innen entscheiden können, wo auf der Welt sie sich aufhalten, desto besser werden die Kampfbedingungen der Weltarbeiter:innenklasse. Eine stärkere Verhandlungsposition der Arbeiter:innen gegenüber dem Kapital ermöglicht neue Formen des Klassenkampfs eines transnational vernetzten und internationalistischen Proletariats.

Als autonome Kommunist:innen versuchen wir, selbstorganisierte Kämpfe von Migrant:innen mitzutragen. Menschen haben auch unter widrigen Umständen eigene Beweggründe, Pläne und Strategien. Wir richten unseren Fokus auf die Handlungsmacht und auf die individuellen und kollektiven Kämpfe von Migrant:innen. In Anlehnung an das Konzept der Autonomie der Migration grenzen wir uns von objektivierenden Perspektiven auf die Migration ab. Wir stellen uns an die Seite derjenigen Menschen, die vor Krieg und schlechten Lebensbedingungen fliehen, die sich in Bewegung setzen, sich globalen Reichtum wiederaneignen und das kapitalistische Migrationsmanagement unterlaufen.

Die Institutionen der Migrationskontrolle setzen ihre Interessen auf brutale und tödliche Weise durch, sie sind die unmittelbaren Gegner:innen im Ringen um selbstbestimmte proletarische Mobilität. Moralische Appelle für eine «humane» oder «faire» Migrationspolitik nützen nichts. Darum treten wir nicht als Bittsteller:innen an die Regierungen heran. Wir unterstützen Projekte, die entlang verschiedener Migrationsrouten Support leisten oder materielle Direkthilfe organisieren. Auch in den Zielländern der Migration gibt es Genoss:innen, die Menschen ohne gültige Papiere beherbergen oder mit Geflüchteten zusammen Häuser besetzen. Als Organisierte Autonomie Zürich beteiligen wir uns an Kampagnen gegen die mörderische Migrationspolitik und suchen die Zusammenarbeit mit Organisationen migrantischer Genoss:innen. Wir setzen auf Selbstorganisation, Kollektivität und vielfältige Formen des Widerstandes, um Wege zu finden, das Migrationsmanagement des Kapitals zu destabilisieren.