Unser Feminismus gegen ihren rechten Kulturkampf!

Am 16. September 2023 findet in Zürich bereits zum 13. Mal der sogenannte «Marsch fürs Läbe» statt. Seit sich die Organisator:innen zum ersten Mal in Zürich auf die Strasse getraut haben, leisten wir gegen sie Widerstand. Und das aus guten Gründen: die Organisationen des Aufmarschs propagieren ein durch und durch reaktionäres Geschlechterbild sowie rassistische und völkische Ideale.:,D
Feministisch erkämpfte Errungenschaften werden angegriffen – verteidigen wir sie!
Wenn die Teilnehmer:innen des «Marsch fürs Läbe» durch die Strassen von Zürich, Berlin oder Paris ziehen, vermitteln sie oft dasselbe Bild: Vor allem ältere Menschen tragen Kreuze vor sich her, singen christliche Lieder und demonstrieren gegen das Recht auf Abtreibung. Als Zuschauer:in liegt der Schluss nahe, sie einfach als engstirnig aber irrelevant abzutun. Doch das wäre fatal! Die «Pro-Life»-Bewegungen rund um den «Marsch fürs Läbe» haben in den letzten Jahren vielerorts in Europa Zulauf erhalten und wissen politisch sowie finanziell enorm einflussreiche Netzwerke hinter sich.
Richtet man den Blick nach Polen oder in die USA, so wird schnell klar, was geschehen kann, wenn solche Kräfte, neurechte Weltbilder und der ewig kriselnde Kapitalismus zusammenkommen: Seit 2022 existiert in den USA kein allgemeines Recht auf Abtreibung mehr. Besonders proletarische Menschen, welche nicht über Geld oder Beziehungen für einen sicheren Schwangerschaftsabbruch im Ausland verfügen, müssen gefährliche Abtreibungen im Verborgenen vornehmen. Auch in Polen, wo das Recht auf Abtreibung 2020 faktisch abgeschafft wurde, sterben jährlich viele Personen durch Erkrankungen in der Schwangerschaft oder improvisierte Abtreibungen. Es ist klar: unsichere Schwangerschaftsabbrüche gehören global zu einem von fünf Hauptrisiken für Müttersterblichkeit. Ein sicherer Schwangerschaftsabbruch braucht legale Wege – doch gegen solche Wege organisieren sich immer mehr rechts-konservative Strömungen und Organisationen.
Weltweite Vernetzung der Abtreibungsgegner:innen – organisieren wir uns dagegen!
Unmittelbar nachdem im Juni 2022 das Urteil des Obersten Gerichtshofs in den USA den Weg für Abtreibungsverbote ebnete, gingen auch in der Schweiz Organisationen auf die Strasse, um ein solches Verbot für die Schweiz zu fordern. Unter ihnen waren die Initiant:innen des «Marsch fürs Läbe» sowie Exponent:innen der SVP. Die SVP versuchte kürzlich zwei Initiativen zur Beschneidung des Rechts auf Abtreibung zu lancieren (und scheiterte damit vorläufig). Ebenso aktiv beim Fordern eines Abtreibungsverbots waren Personen der Bewegungen «40 days for life», «Agenda Europe» und des «Weltfamilienkongresses». Diese Organisationen sind Teil eines weltweit gut strukturierten und finanzstarken Netzwerks. In den Jahren 2009 bis 2018 investierten verschiedene NGOs, religiöse Organisationen, politische Parteien und Stiftungen allein in die «Pro-Life»-Bewegungen in Europa rund 700 Millionen Dollar. Ein Grossteil des Geldes stammt dabei aus ultrakonservativ-religiösen Kreisen in den USA, die das Ziel verfolgen, diese Bewegung in Europa zu stärken.
Eine der einflussreichsten Organisationen in den USA, welche die «Pro-Life»-Bewegung auch in Europa massgeblich mitfinanziert, ist die «Billy Graham Evangelist Association». Mit sogenannten Massengebetsversammlungen, die sie als «Kreuzzüge» bezeichnen, mobilisieren sie seit Jahren gegen Abtreibungen, aber auch gegen Muslim:innen und LGBTIQ.
In Frankreich hat der 71-jährige katholisch-konservative Milliardär und Unternehmer Vincent Bolloré sein Medienimperium soeben um die Zeitung «Journal du Dimanche» erweitert und sie gleich treuen Anhängern des rechtsextremen ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Eric Zemmour zur Leitung übergeben. Bolloré ist bekannt für seine abtreibungsfeindlichen und antifeministischen Meinungen, die regelmässig über seine Medienkanäle in die Welt gesendet werden.
Diese Beispiele zeigen auch deutlich auf, dass die Abtreibungsgegner:innen politisch nicht «nur» im «Pro-Life»-Sumpf zu verorten sind, sondern dass sie sich stark von den Antreibern einer «konservativen Revolution» angesprochen fühlen oder sich von ihnen instrumentalisieren lassen. Die Versuche, die Grenzen des Sagbaren immer weiter nach rechts auszudehnen, zielen auf den Erhalt und den Ausbau rückwärtsgewandter und patriarchaler Gesellschaftsstrukturen ab. Rechte, antifeministische Kräfte, zu denen der «Marsch fürs Läbe» zählt, wollen Kapitalismus, Ausbeutung und Unterdrückung innerhalb ihrer konstruierten Volksgemeinschaft oder Nation aufrechterhalten.
Der Aufschwung der Rechtskonservativen zeigt sich auch in der Schweiz
In den vergangenen Monaten gab es Angriffe neurechter Gruppen gegen den Pride-Monat und auch die SVP hat die sogenannte «Gender-Ideologie» zu einem politischen Fokus für die Wahlen 2023 erhoben. Die SVP sowie viele neurechte Gruppen und Strömungen sehen in der Kleinfamilie die Grundlage für sogenannte «westliche» Werte und Nationen und diese wiederum als Bollwerk gegen den allgemeinen «gesellschaftlichen Zerfall». Wer nicht dem Ideal der christlich-bürgerlichen Familie entspricht, wird zu einer Bedrohung für die nationale Gemeinschaft erklärt. Reproduktionsrechte – wie die freie Entscheidung über Abtreibung – werden so ideologisch zur Arena eines national-konservativen Kulturkampfs. Die Folge dieser Entwicklungen widerspiegelt sich direkt in gestiegenen Zahlen von Übergriffen auf Menschen der LGBTIQ-Bewegung.
Gegen den rechten Kulturkampf bauen wir Gegenmacht auf
Weltweit haben Feminist:innen das Recht, selbst über Schwangerschaften entscheiden zu können, hart erkämpft. Antifeministische Angriffe auf diese Errungenschaften richten sich insbesondere gegen schwangere Menschen aus der arbeitenden Klasse. Indem wir uns organisieren und unsere Kämpfe kollektivieren, bauen wir Gegenmacht auf. Die starke feministische Bewegung der letzten Jahre zeigt uns, wie wir revolutionäre Politik vorwärtsbringen können und wie feministische Gegenmacht in der Lage ist, patriarchale Strukturen aufzubrechen. Als proletarische Klasse können wir den reaktionären Entwicklungen entgegenwirken, indem wir die Logiken und Funktionsweisen dieser Bewegungen aufschlüsseln und indem wir unsere Rechte verteidigen – so auch am 16. September 2023 in Oerlikon. Wir gehen nicht hinter die erkämpften Errungenschaften zurück! Gemeinsam können wir revolutionäre Perspektiven fassbar machen. Organisieren wir uns für eine solidarische Gesellschaft!
Organisierte Autonomie Zürich, September 2023